Teresa Ende

Die Verlockung der Bilder: Neue Malerei von Danny Linwerk


Bilder sind verlockende Projektionsflächen für das Aussehen und Geschehen in der Welt. Der Dresdner Künstler Danny Linwerk geht in seinen Gemälden von Gesehenem, von kurzen Sequenzen, Träumen und Stimmungen aus. Doch strebt der 1977 in Elsterwerda geborene und 2011 bis 2016 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden bei Christian Macketanz und Wilhelm Mundt ausgebildete Maler dabei keine wie auch immer geartete mimetisch-narrative Übertragung von Seheindrücken, Geschichten oder Ereignissen auf die Leinwand an. Auch zielt seine Kunst nicht auf eine symbolhafte Übersetzung von Ideen und Vorstellungen ins Medium des Bildes ab.

Linwerks Bildfindungs- und Werkprozess sind von einem fortwährenden Verdichten und Zuspitzen von Form, Farbe und Komposition geprägt: Auf der Basis von mitunter ganz flüchtigen Sinneseindrücken wird ein Bild isoliert und zunächst in Bleistiftzeichnungen fixiert, wobei es permanent verändert und weiterentwickelt wird, um Einzelformen und Kompositionsgefüge, Hell-Dunkel- sowie plastische Werte festzulegen. Im nächsten Schritt wird das gefundene Bild in mehr oder weniger starker Vergrößerung mit Kohle auf die Leinwand übertragen und dabei wiederum verändert. Schließlich werden die zeichner­isch angelegten Formen in Ölfarben gefasst, wobei der finalen Farbgebung meist mehrere unterschiedliche Farbfassungen vorausgehen. Die Titelgebung, die den im Bild angerissenen, aber im Ungefähren belassenen Sinn­ebenen eine weitere Brechung und Drehung gibt, erfolgt am Schluss.

Auf diese Weise schafft Danny Linwerk assoziationsreiche, mehrdeutige Bildgefüge mit unwahrscheinlichen Szenerien, deren Farben, Formen und Räume von einer berückend konstruierten Kühle und Künstlichkeit sind, ohne dass dieser neue Surrealismus je kalt odergekünstelt erschiene. Linwerk reduziert und stilisiert das Gesehene und Vorgefundene und nimmt damit eine Verdichtung, Umdeutung und verallgemeinernde Übersteig­erung vor, wobei die inhaltliche Offenheit des Gezeigten bestehen bleibt. Das Landschaftsbild „Retiro“ (2018) etwa entwickelte Linwerk auf der Grundlage einer Fotografie, die er vor einigen Jahren vor Ort in Madrid anfertigte. Zu einer kontrastreichen Fotokopie in Schwarzweiß reduziert, übertrug er das Formgefüge des Ausgangsbildes auf die Leinwand und fasste es dort in kräftigem Rosé, Rot, Bordeaux, Grün, Türkis und Blau, wodurch eine malerisch-verfremdete Chiffre für Natur, Zivilisation und Wildwuchs entstanden ist.

Linwerks Gemälde bestechen durch ihre leuchtenden, zum Teil grellen Farben, wobei die Oberflächen der Ölfarben hier stets matt erscheinen und nie glänzend oder maschinell wirken. Sorgfältig wählt der Maler die einzelnen Töne, die er für jedes Bild individuell anmischt, stimmt sie fein aufeinander ab, übermalt ganze Partien wieder und wieder. So tastet er sich langsam an jenen ‚Farbklang‘ heran, der jedes Gemälde trägt und dabei doch mehrere zyklusartig mitein­ander verbindet. Ein Grund dafür ist auch, dass Linwerk an mehr­eren Leinwänden gleichzeitig arbeitet, sodass Varianten bestimmter Farbtöne in mehreren Bildern auftauchen können. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist das duftige Lila, das uns im bekenntnishaften Künstlerporträt „The First Line of a Poem“ als sehr heller Ton beim Hemd des Protagonisten begegnet, während es in der mächtigen Wolke in „Überuns“ und im lichten Hintergrundstreifen von „Angel“ (alle 2018) jeweils in leicht veränderter Form, sozusagen mit anderer ‚Temperatur‘, wieder auftaucht.

Die Bildszenerien selbst sind fantastisch, unwirklich oder gar märchenhaft-entrückt, wie in „Nachtwanderung“ (2018): Auf einer Lichtung im Wald haben sich drei kleine Figureneingefunden, die einem ins Surreale gewendeten Grimm’schen Märchen oder einem Goya’schen Traum entsprungen sein könnten, wobei wir nicht sagen können, ob es sich bei den drei alt­modisch gekleideten, untersetzten Wesen um Kinder oder Zwerge handelt. Erstaunt bis erschreckt blicken sie sich um, fassen sich an den Händen und schleichen vor lilafarbenem Nachthimmel schlafwandlerisch ihres Wegs.

Eine Stimmung von traumatischer Ruhe und greller Unwirklichkeit zugleich charakterisiert die Komposition „Waves“ (2018): Wir sehen eine regungslos auf einer Luftmatratze liegende weibliche Aktfigur in kräftigen Rosétönen, die im vollkommen unbewegten blau-grünen Wasser treibt. Sie hat den Kopf abgewendet, was uns zu heimlichen Beobachtern der ebenso sommerlich-schwülen wie unterkühlten Szenerie macht. Dieser zwiespältige Eindruck wird noch verstärkt durch das flächenhaft-statische Kompositionsgefüge, das aus der Betonung von Horizontale und Vertikale resultiert und auch andere Bildfindungen Linwerks kennzeichnet.

Die Figuren und Szenerien sind meist in einem vergleichsweiseflachen Raum angesiedelt, der auch nach oben deutlich begrenzt ist. Die Einzelvolumina der Figuren werden in Flächen ausgedrückt, so plastisch gebaut und verzerrend vergrößert sie mitunter auch erscheinen mögen. Die einzelnen Teile sind durch scharfe Kanten klar voneinander getrennt, wenn gleichviele der Formen jede für sich genommen weich und rundlich erscheinen. Trotzihrer bunten, zuweilen schillernden Farbflächigkeit werden die Formen von Bekleidung, menschlichen Gliedmaßen, Einrichtungsgegenständen, Gebäuden und Pflanzen jeweils als Einzelformenaufgefasst und äußerst plastisch modelliert, sodass die Kompositionen insgesamt wie gebaut wirken. Dabei sind die Personen, ebenso wie die gezeigten Orte und Räume, mehr Typen als Individuen, die im Bild wie auf einer Bühne angeordnet werden.

Anders als in Linwerks Malerei bis 2015/16, steht in den neuen Arbeiten von 2017/18 die menschliche Figur im Mittelpunkt. Die Figuren selbst akzentuieren die Bildräume entweder als zentral platzierte Formen, die durch die Froschperspektive beinahe ikonisch überhöht werden, wie in der Komposition „Dresdner Mädchen 2018“, wo das Antlitz der titelgebenden lachenden blonden jungen Frau vor einen hellen kühlen Himmel gesetzt ist, oder auch in dem golden-lichtdurchfluteten Hochformat „Summer Sonata“, in dem die auf der vertikalen Bildachse platzierte Schwimmerin wie der Nabel der Welt präsentiert wird.

In anderen Werken sind die Figuren klar nebeneinander aufgereiht(„Nachtwanderung“, „Überuns“) oder pyramidal hinter- beziehungsweiseübereinandergesetzt, wie in „Balada“, wo die drei weiblichen Figuren als Figurenpyramide hintereinander geschichtet erscheinen. Auch wenn sie sich, in Gruppen angeordnet und einander zum Teil berührend und überschneidend, im Gespräch miteinander befinden oder zusammen musizieren, so bleibt doch jede Figur für sich und seltsam allein. Selbst bei so humorvoll-grotesken, surrealen Runden wie in „Balada“ und „Preaching and Playing“ bleibt ein Rest Kühle und Skeptizismus.

Es sind Zusammenkünfte voll ritualisierter Gestik, expressiver Mimik und doppeldeutiger Anspielungen – wie burleske Versammlungen über Realitäts- und Zeitgrenzen hinweg. Bei Linwerk fließen Gegenwart und Vergangenheit, Traum und Wirklichkeit ineinander: In dem Gemälde „Preaching and Playing“ gehört die singende Gitarrenspielerin im weiten rosafarbenen Gewand links offenkundig einer anderen Epoche an als die freizügige Akrobatin in schwarzer Strumpfhose auf der rechten Seite. Im Bild sind sie für einen unwahrscheinlichen Moment auf einer kulissenhaften Gondel vereint – oder wohnen wir hier einer Theateraufführung bei, deren Künstlichkeit von der bühnenhaften Anlage und Farbgebung der Komposition ebenso herausgestrichen wird wie durch die schablonenhafte Gestik und Mimik der Figuren?

Was wir auf Danny Linwerks Bildern sehen, scheint ebenso versonnen und subjektiv deutbar wie die Zeilen eines Gedichts, die sich aneinander reihen und dabei einzelne Elemente wieder­holen, verfremden oder den Klang bestimmter Worte wieder aufgreifen. Linwerks Vorgehen ist dem Rhythmus und Sound von Gedichten vergleichbar, wenn in seinen Bildern bestimmte Formen und Farbkombinationen jeweils mehrmals auftauchen, so als handele es sich um Reime in Bildform: In „Bö“ wiederholen sich die architektonischen Elemente der Häuser im Hintergrund und werden vom Muster der Vase im Vordergrund gedoppelt. In „Dresdner Mädchen 2018“ zitieren Oberteil und Kragen der titelgebenden Figur die Farben und Formen der Häusergiebel hinter ihr, so wie sich die Lebens- und Umweltbedingungen dem Erscheinungsbild ihrer Bewohner einschreiben.

Durch diesen bedächtigen Rhythmus der Farben und Formen entstehen ausbalancierte, ruhige, manchmal wie eingefroren wirkende Stimmungsbilder. Dabei gelingt es Linwerk, ebenso formstarke, klare und direkte Bildräume zu schaffen, die aufgrund ihrer inhaltlichen Ambivalenz und Unausdeutbarkeit berühren und fesseln, weil sie die Betrachterin oder den Betrachter zu unterschiedlichsten Interpretationen anregen, ohne vordergründig geheimnisvoll oder verschlüsselt sein zu wollen.

Wir haben es hier nicht mit einem Geschichtenband in Bildform zu tun, aus dem jeder dieselbe Erzählung herauslesen kann und soll. Mag sich zunächst auch der Eindruck einstellen, in Linwerks Gemälden verbinde sich Erzählfreude mit geradezu altmeisterlicher Ölmalerei, sosind die Darstellungen doch in erster Linie verdichtete Stimmungsbilder in Form plastisch gebauter Hüllen in konzentrierten Räumen. Die aus der Farbintensität, Monumentalität und Plastizität der dicht an die Betrachterinnen herangerückten Körperresultierende Sinnlichkeit bei gleich­zeitiger Undurchschaubarkeit, ja Groteske der dargestellten Szenerien, schafft Bilder von höchster Dringlichkeit und Unmittelbarkeit, die sich unserem Zugriff doch permanent entziehen. Danny Linwerks Kunst entwickelt ihre Subjektivität im Prozess der Anschauung und ist permanente Verlockung, ohne sich je auszuliefern.


aus:


Danny Linwerk (2018)
Ausstellungskatalog mit Arbeiten aus 2017/2018
Herausgeber: Ines Schulz · Contemporary Art, Dresden

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