Klaus Nicolai

Dein König kommt in niedern Hüllen

Spurensuche hinter den Gemälden Danny Linwerks

“Du sollst dir kein Bildnis machen,,, “ Was meint das alttestamentarische Bildverbot, das heute scheinbar nur noch im streng Koran geprägten Islam Gültigkeit hat? Was ist überhaupt ein Bild? Wo entsteht es, wie manifestiert es sich und warum? Wir leben im Zeitalter des Visualismus. Die Optik, das zentralperspektivische Ins-Visier-Nehmen von Objekten macht diese im doppelten Sinne zur Tat-Sache: a) im Sinne von “real” (physisch) und b) im Sinne von konstruier-, herstell- und konsumierbar. Damit favorisiert sich spätestens seit der Renaissance das Sichtbare als das Erkennbare, Reale, also letztlich nur als ein ICH Denkbares (“Cogito ergo Sum” Descartes). Das Unsichtbare - Geahnte, Empfundene, Gespürte, Assoziierte, Imaginierte usw. wird ab da mehr und mehr in ein Jenseits-Reich des Glaubens, Hoffens, Wünschens, Liebens und nicht zuletzt Fürchtens verschoben… Mit der Rationalisierung oder besser “Entzauberung der Welt” (Max Weber) geht auch die Herrschaft der Abbilder, der Abbild- und Bildfabrikation einher, welche die wirkliche menschliche Imaginationskraft imitiert und kompensiert; damit auch konsumfähig macht.

Linwerks Malerei überrascht (oder irritiert) durch radikale Abwesenheit von Ab-Bildern im Sinne von Nachbildung oder Nachahmung von Dinghaftigkeit, Räumlichkeit wie auch Zeitlichkeit. Die alltägliche Welt mit ihren Dingen, Räumen und Ereignissen erscheint hier wie eine erinnerte, in Wirklichkeit längst vergessene, tatsächlich verschwundene oder noch nicht dagewesene und doch zutiefst vertraute (Déjà-vu): Es ist nichts weiter als eine Erinnerung an den - wohl auch kindlichen - Ursprung im menschlichen Dasein, in der Präsenz. Anwesenheit, die immer und überall auch gegenwärtig sein kann. Insofern hat “Geschichte” als Historie von Fort-Entwicklung nie stattgefunden! (Vgl. Jean Gebser: “Ursprung und Gegenwart” sowie das jüngst auch in deutscher Sprache erschienene Werk “Ankünfte” von David Graeber und David Wengrow.) Sie kann auch als eine Wegscheite von Gegenwärtigkeit empfunden werden (Entfremdung).

Danny Linwerks Bilder sind wie ewig währende Ereignisse aus Farbe, Fläche, Rhythmus und Komposition. Bilder von Bildern aus dem Unsichtbaren … Alles erinnert an Räume, Dinge, Geschichten, ohne je ein Raum, ein Ding oder eine Geschichte sein zu wollen. Hier wird nichts vorgetäuscht, imitiert oder gar illustriert. So gesehen sind es Pforten in seelische Urklang-Welten. Edmund Husserl nannte diese Art Sehen wohl “Wesensschau”, meint dabei aber durchaus ein begrifflich gefügtes Wesen. Er war Philosoph.

Linwerk re-komponiert malerisch-sensitiv Situationen der Erinnerung an das immerwährende Gegenwärtig-Sein. Dies durch bildnerische Geschichten, ja Formen des künstlerischen Anwesend-Seins hindurch. Hier gibt es “Epochen”, “Stile” und “Werke” eines ewigen Hin-Wendens in und durch alle Zeiten abseits von Fabrikaten der Ab-Wendung und Fixierung auf vermeintliche Tat-Sachen, Stories, Artefakte. Hin- oder Abwendung von einem immer nur gegenwärtig seiendem Menschlichen; eines Da-Seins (vgl. Heidegger) als leibhaftige Seelen-Präsenz. (Hildegard von Bingen sprach vom “beseelten Leib” im Gegensatz zum sündigen Körper oder Fleisch.) Vergangenheit und Zukunft als Historien-Konstrukt sind in dieser Dimension nichts anderes als der Kitt eines illusionären In-der-Welt-Seins, getrennt in Diesseits und Jenseits: Herrschaft des Dualismus und der kriegerischen Spaltung!

So öffnet Danny Linwerk ewige Orte des sich Gewahr-Werdens, Orte des Durchblickens, des hinter das Erscheinende Schauens und zwar auch durch konstruierte und fabrizierte Dinge wie Ereignisse hindurch (Diaphanie). Es sind Orte der seelischen Geist-Präsenz im Sinne eines “Ich bin - ich war - ich werde sein” (Mies van der Rohe). Diese “Orte” erscheinen im Verlauf der sogenannten “Kunst-Geschichte” immer nur hinter den Kulissen der Beauftragung und Ausführung, der Produktion und Rezeption, dem Verkauf und der Konsumtion von “KUNST”. Das Künstlerische im Sinne des sich menschlich gewahr Werdens hingegen findet im Verborgenen, eben in leibhaftiger Vergegenwärtigen statt.

So tauchen sie also auf, die Szenen der sogenannten “Kunstgeschichte”: Die romanische Nonnengestalt (Exotica), das Paar am Strand (Sea Song), der Autor neben seinem Werk (Macondo Beat, Homage an Gabriel Garcia Marqueze), fein inszenierte Fruchtstücke, der am Haus werkende (Chalet, Let`s Build A Home) und ab und an versammelte Menschen (Blue Notes), der rauchende Dunkle neben dampfender Lok (Smoke Machine)…

Allein das Paar am Strand (Sea-Song) steht stellvertretend für einen einzigen gestischen Bogen, welchen Linwerk zwischen steinzeitlichen Statuetten (Fruchtbarkeit Anbetung), griechisch stoischer Plastik hin zur Moderne etwa in Gestalt von Matisse oder dem frühen Picasso rein intuitiv spannt … Genau gegenüber (zufällig?) im selben Raum, dem Atelier des Künstlers, positioniert: eine scheinbar szenisch habituelle Erinnerung an Edward Munch; ein eher dunkel aus dem zart stillen Bilderreigen heraus rufender expressiver Gestus: “Blue Notes” offenbart eine psychodramatische Situation zwischen drei Figuren in engstem Raum. Eines der wenigen Bilder, welche die Anmutung von Seelenfrieden verlassen. Es entstand kurz vor Ausrufung der nicht enden wollenden Ausnahmezustände. Eine Vorahnung?

Erst wer einen Blick durch die gewöhnlich versiegelten Räume, Dinge und Symbole wirft, kann das Wunder des EINEN RAUMES - des Ganzen, Unsagbaren, unendlich Geöffneten - durchscheinen sehen. "Diaphanie" oder “Transzendenz” nennen dies Philosophen. Begriffe, mit denen sie im Denken das Nicht-Denkbare oder Nicht-Sagbare letztlich selbst wieder zum Verschwinden bringen. Dem begrifflichen rationalen Denken fehlt sowohl die sinnlich-sensitive wie die spirituell-selbstreflexive Dimension der Wahrnehmung und vor allem der sensitiv sinnliche Prozess des Wahr-Machens, also der Vergegenständlichung von Welt. Philosophie fehlt der “Nicht-Raum” im Sinne eines wirklichen Hervorbringens als sensitives, logisches wie spirituelles Sich-Ereignen. Schöpfung kommt hier aus dem Unsagbaren, aus der Nähe zum Un- und Vorbewussten, zum Unsichtbaren hinter dem Sichtbaren.

Danny Linwerks Bilder sind eine Reise durch die unsichtbare Bildgeschichte der ANSCHAUUNG DES GEISTIGEN innerhalb einer empathisch konstruktiven, ja traumwandlerischen Mal- und Kompositionsweise. Farbige Licht-Flächen-Bilder, unverstellte Pforten aus atmosphärischen Düften durch jedes physisch erscheinende hindurch: Hier versinkt das Physische oder Physiologische nicht in Stereotype, Konventionen, Moden; ist nicht begraben in oder zwischen “realistischen” Oberflächen eines wie auch immer verfassten Zeitgeistes der Ideal-Materialität (Design).
Dafür steht die opulente wie sakral anmutende Verbindung zwischen Flüssigem und Ornamentalem in Linwerks Bild “Der innere Kreis”. Ordnung als ewige Bewegung, der weibliche Akt mit den Insignien seiner heiligen Fruchtbarkeit als eine kosmische Leib-Wasser-Welt-Konstellation: Lustvoller Genuss und Gebet in einem. Hier ist alles präsent, was Bildgeschichte enthüllen kann: Farbdüfte, Klangflächen, Welt als Andachts- und Spielraum … All dies gehüllt in eine Atmosphäre aus Heiterkeit, Freude, Hingabe, Mut und Demut. Danny Linwerk führt in Hinter-, Unter-, und Überwelten des Wunderns, eines Welten-Lächelns durch den eigenen Leib hindurch. Ein Wunder, das sich durch uns wieder und wieder anders offenbart. Die Einheit der Welt besteht in Sonderheit, jenseits aller Verhüllung: “Dein König kommt in niedern Hüllen…”


aus:


Danny Linwerk 
MACONDO BEAT (2022)
Ausstellungskatalog
Herausgeber: Ines Schulz · Contemporary Art, Dresden

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