Franziska Fuhlrott

Ein Versprechen auf Lebenszeit – Malerei von Danny Linwerk


„Stürzt die Ferne in meine Seele,
singt süßer Sang in mir,
ich fühle,
endelos,
daß ich nicht einsam bin.“

(Kurt Heynicke: „Gesang“)


Was privat sein soll und was öffentlich, bestimmt heute weitestgehend jeder selbst. Die Lust am Inszenieren alltäglicher Verrichtungen, das „in Szene setzen“ und anschließende Veröffentlichen von Fotografien, ist für viele Menschen Normalität. Das eigene Leben wird zur Bühne, auf der man den Alltag öffentlichkeitswirksam inszeniert. Aber wie kann es gelingen, im unmittelbaren Moment zu leben, wenn man ihn gleichzeitig von außen betrachtet und für ein anonymes Publikum festhält? Verändert sich unser privates Leben durch die Verinnerlichung eines beobachtenden Auges? Wo früher ein Gott als moralische Instanz imaginiert wurde, verbirgt sich heute eine gesichtslose Masse, die darüber urteilt, wie gut oder schlecht wir unser Leben meistern. Kinder, Küche, Sport – in jedem Lebensbereich müssen perfekte Ergebnisse erzielt werden. Die Zeugnisse unserer Meisterschaft sind Fotografien mit kurzer Halbwertzeit. Die hungrige Masse will gefüttert werden.

Der Künstler Danny Linwerk zieht die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem mit einem klaren Strich. Er gehört einer Generation an, die ihre Sozialisation in einer Zeit erfuhr, in der man noch deutlich zwischen Verbergen und Sichtbarmachen unterschied. Vor diesem Hintergrund erscheint seine Ausstellung, die unter dem Titel „sub rosa“ (wörtlich: unter der Rose) aktuelle Arbeiten zusammenfasst, außergewöhnlich. Seine Bilder gestatten einen Blick ins Private, sonst Verborgene, das nicht für das öffentliche Auge bestimmt ist. Der Titel „sub rosa“ ist allerdings wie ein senkrecht auf die Lippen gelegter Finger, denn er bedeutet soviel wie „unter dem Siegel der Verschwiegenheit“. Der Künstler macht uns zu Vertrauten und hofft darauf, dass wir das Gesehene und Erfahrene für uns behalten. Linwerks Bilder laden dazu ein, bei ihm Gast zu sein und sich in seinem privaten Umfeld umzusehen. Sie versprechen eine intime Begegnung zwischen Künstler und Betrachtenden, die folgenreich sein kann, denn die Bilder eröffnen die Möglichkeit, eigene Überzeugungen und Standpunkte zu hinterfragen.

Verblüffend ist, dass alle Bilder, die Linwerk in seiner Ausstellung zeigt, paarweise daherkommen. Es lohnt also, das jeweilige Gegenstück zu betrachten und es als ergänzende Erzählung zu begreifen. Augenscheinlich wird dabei, dass jedes Bild eigenständig ist, die paarweise Betrachtung aber neue Sichtweisen eröffnet. Nur das Selbstbildnis „Blue Cabin“ steht für sich. Es zeigt den Künstler allein in seinem Garten, versunken ins Gitarrenspiel. Vielleicht braucht es für ihn genau diese Ruhemomente im Alltag, die selbst gewählte Einsamkeit, um künstlerisch tätig sein zu können.

Seine Motive findet Linwerk im Alltäglichen. Scheinbar nebensächliche Tätigkeiten rückt er ins Licht. In „Ostinato“ sehen wir eine auf dem Boden sitzende Figur, die einen Apfel schält. Sie scheint ganz in ihr Tun versunken und widmet sich ihrer Arbeit mit einer Hingabe, die sie alles andere vergessen lässt. Linwerk setzt die Figur in einen fast klösterlich anmutenden Kontext, nichts im spärlich eingerichteten Raum lenkt den Blick vom Wesentlichen. Ihre Gesichtszüge und die Farbe ihrer Haut wirken ikonenhaft. Das Schälen des Apfels wird zum modernen Gebet eines Menschen, der Halt in einer verunsichernden Wirklichkeit sucht. Der Titel des Bildes eröffnet neue gedankliche Ebenen. Ein Ostinato (lateinisch obstinatus, hartnäckig, eigensinnig), ist in der Musik eine sich stetig wiederholende musikalische Figur. Dies kann eine Melodie, ein bestimmter Rhythmus, oder ein anderes musikalisches Element sein. Das Wiederholende findet sich in Linwerks Bild in den architektonischen Bögen im Hintergrund, in ihrer Doppelung und ihrem Muster, aber auch im Muster des Bodens und in der Apfelschlangenform. An ein Ostinato erinnern auch die Konzentration des Schälenden, seine Hartnäckigkeit und sein Wille, die Schale an einem Stück abzuschälen, ohne dass sie bricht. Der Anfangsbuchstabe „O“ findet sich wiederrum in der Form des Apfels wieder.

Man weiß nicht, was das eigentliche Ziel des Schälenden ist: die Frucht von der Schale zu befreien, oder die Schale von der Frucht. Gerade dies ist das verwirrende an Linwerks Komposition und öffnet eine neue Ebene hinter dem Bildraum. Die Figur arbeitet nicht auf ein Ziel hin, sondern findet Erfüllung in ihrem Tun. Ähnlich ergeht es der Figur in „Kleine Nachtarbeit“. Auch sie verweilt im Augenblick und widmet sich ihrer Arbeit mit Liebe. Linwerks Bilder lesen sich wie Gegenentwürfe zum vorherrschenden Verständnis der Arbeit in der westlichen Gesellschaft, für die sie in erster Linie gewinnbringend sein muss. Eine Unterscheidung in Erwerbsarbeit und Care-Arbeit, die auf gesellschaftlicher Ebene vollzogen und auf soziologischer Ebene gerade kritisch hinterfragt wird, findet beim Künstler nicht statt.

Er wertet und bewertet die Arbeit nicht, ob zum Gelderwerb, oder unentlohnt, ist ihm einerlei. Sie genießt bei ihm den gleichen Stellenwert. Damit ist seine Malerei politisch, ohne vordergründig aktuelle Diskurse aufzugreifen. Sie bezieht Stellung, bleibt aber gleichzeitig auf Distanz.

Linwerks Bilder wirken wie Ruhepunkte, die dazu einladen, innezuhalten. Er vergrößert den Moment und bietet so den Betrachtenden die Möglichkeit, sich selbst zu entkommen. Denn was bliebt, wenn wir sogar unser Leben als Aufgabe betrachten, die effektiv und systematisch erledigt werden muss? Danny Linwerk gibt seinen Figuren und den Betrachtenden ihre Würde zurück und schenkt ihnen ein seltenes Gut: Zeit. Seine Figuren praktizieren das, was die Generation Z als Work-Life-Balance bezeichnen würde. Wir sehen sie im wahrsten Sinne des Wortes in Balance, im Gleichgewicht. Es erscheint paradox, aber während wir scheinbar Alltägliches betrachten, entfliehen wir dem Alltag. Voraussetzung ist, dass wir in der Lage und willens sind, uns darauf einzulassen.

Wollte man ein Hauptwerk der Ausstellung benennen, so wäre dies das Bild mit dem Titel „Kommod“, ein in früheren Jahren gebräuchlicher Ausdruck für „angenehm“, „bequem“. Der Künstler lädt die Betrachtenden in seine Wohnung ein und zeigt sich von seiner privaten Seite. Er hat es sich bequem gemacht, ohne Schuhe liegt er auf einer Coach, Kopf und Gesicht sind uns zugewandt, die Körperhaltung ist offen. Es ist, als würde er sagen: Schaut mich an! Schaut mit mir! „Worauf?“, will man fragen und die Antwort findet sich im offenen Buch in seinen Händen. Es zeigt Werke von Henri Matisse, dessen Kunst Linwerk nachhaltig beeindruckt und beeinflusst hat. Inwiefern zeigt sich in der Gestaltung des Raumes, in dem Interieurs mit Mustern komponiert sind, ein Stilmittel, dessen sich auch Matisse bediente. Auf dem Tisch liegt das berühmte Buch „Hundert Jahre Einsamkeit“ des südamerikanischen Autors Gabriel Garcia Márquez. Man kann es als Hinweis darauf lesen, welche literarischen Einflüsse Linwerks Schaffen bestimmen. Wer den Künstler schon länger begleitet, wird sich an seine letzte Ausstellung „Macondo Beat“ und das gleichnamige Gemälde erinnern, das Márquez neben seinem Schreibtisch zeigt, im Hintergrund ein Panoramafenster, hinter dem der kolumbianische Dschungel wuchert. „Kommod“ ist ein vielschichtiges und intimes Werk, das, wenn man es zu lesen versteht, tief in die Schaffenswelt des Künstlers blicken lässt. Deutlich wird, dass für ihn der Rückzug ins Private unerlässlich ist, um wieder gestalterische Kraft zu sammeln.

Die Bilder „Abendbrot“ und „Carbonara“ bilden ein anfänglich beschriebenes Paar. Auf beiden ist der Künstler in seiner Küche zu sehen, auf beiden bereitet er sein Lieblingspastagericht zu: Spaghetti Carbonara. Mit Spaghetti verbindet Linwerk angenehme Kindheitserinnerungen, sie erinnern ihn an schulfreie Tage im Elternhaus. Im Bild „Abendbrot“ steht er allein in seiner Küche, deren Gestaltung an Piet Mondrian erinnert, dessen Komposition von Farbfeldern ein wichtiger Impulsgeber für Linwerks Malerei ist. Die Figur steht frontal zu den Betrachtenden und blickt sie direkt an. Spricht sie eine stumme Einladung aus? In „Carbonara“ sind Gäste gekommen, aber bevor man sich gemeinsam zu Tisch setzt, wird musiziert. An Linwerks Haltung ändert das neue Arrangement nichts. Er schaut immer noch aus dem Bild, als nähme er die Gäste gar nicht wahr. Begreift man beide Bilder als Paar, setzen sich interessante Gedankenspiele in Gang. Entspringt „Carbonara“ dem Wunsch des Künstlers nach Gesellschaft, den er in einsamen Abendstunden hegt? Oder sehnt sich Linwerk nach der Stille und Einsamkeit in „Abendbrot“, während er zwischen übermütig lärmenden Freunden steht?

Danny Linwerk zeigt in der Ausstellung „sub rosa“ sieben Bilder. Diese begrenzte Anzahl ist beabsichtigt. Er hebt sich damit bewusst von der Bilderflut ab, die wir Tag für Tag produzieren und konsumieren. Linwerk will daran erinnern, dass Malen ein langsames Medium ist, was wiederum im Entstehungsprozess seine Ursache hat. Die Malerei verweigert sich dem Tempo unserer Zeit und ist damit eine subversive, fortschrittliche Kunstrichtung. Wenn Linwerk mit seinen Bildern einen Blick ins Private schenkt, dann befriedigt er damit nicht die kurzfristige Neugier eines beobachtenden Auges. Er geht eine Beziehung ein und gibt ein Versprechen auf Lebenszeit. 

aus:

Danny Linwerk SUB ROSA  (2024)
Herausgeber: Ines Schulz · Contemporary Art, Dresden

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