Dr. Klaus Nicolai
Gegenwärtige Erinnerungen in der Malerei von Danny Linwerk
Zu keiner Zeit haben die Tätigen, das heißt die Ruhelosen, mehr gegolten.
Es gehört deshalb zu den notwendigen Korrekturen, (…) das beschauliche Element in großem Maße zu verstärken.
Friedrich Nietzsche
Bedrängt von den An- und Ausführern des ‚Zeitgeistes‘ am viel zu schmalen Schreibtisch der Vernunft sitzend, scheint der Blick durch dickwandige Brille in ein unendlich ewiges Nirgend-Land gerichtet – eine riskant anmutende Mischung aus grenzenlos zuversichtlicher Ruhe am Rande tiefster Ratlosigkeit ... Die von Danny Linwerk im Gestus einer fast schon biedermeierlich anmutenden Beschaulichkeit geschaffene Bild-Gestalt Fallada (2020) wurde inspiriert von der Tredup-Figur aus Falladas Roman Bauern, Bonzen und Bomben.
Der Weg zum Bild, besser zur bildnerischen Re-Kreation von Welt führt bei Danny Linwerk durch ein vielschichtiges Assoziieren, Imaginieren und letztlich malerisches Neu-Erzählen von Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die sich in keiner Weise im einfachen Abbild erschöpft: Seine bildnerischen Werke stimmen eher in ein anwesendes Präsent-Sein ein, sind Brücken hinüber zu einer lebendigen Balance. Diese bewegt sich zwischen sinnlich-sensitiven Momenten – Blitzen der Inspiration – und deren assoziativen Verknüpfung mit scheinbar entlegenen Dingen, Ereignissen, Erinnerungen, Stimmungen. Es ist eine poetisch duftende Imagination bis in feinste Nuancen seiner Bildkompositionen hindurch – Ausdruck einer andauernden Verbindung zwischen kontemplativer, gestaltender wie leibhaftiger Anwesenheit. Verdichtung als Re-Präsenz eines Sich-Ereignens.
In diesem Sinne spannen Linwerks Bilder tatsächlich einen Bogen zwischen Eigenzeit und Eigensinn menschlicher Wahrnehmung und einer Zeit, die über sich hinaus fliegt, ja mitunter jedes wirkliche Anwesend-Sein zu überrennen, zu überwältigen sucht. Das Changieren zwischen Narration und Abstraktion, Bildlichkeit und Geistigkeit kommt hier scheinbar traumwandlerisch, ja surreal anmutend auf einen einzigen Punkt: Mensch ist Sphären-Existenz zwischen Bedeutungen, Informationen und Medien, weit schwingende Membran zwischen Diesseits und Jenseits, Makrokosmos und Mikrokosmos …
Szenenwechsel: Ein ins matte, monochrom sanft-rot getauchtes Einfamilienhaus verweist im flächigen Farbreich auf seine Bewohntheit (Bö, 2017): Es steigt, schnittartig und zugleich an Leibesfülle erinnernder ‚Rauch‘ aus dem Schornstein, das Bild nach oben einnehmend. Nicht wirklich ‚Rauch‘, sondern eine logohafte Metapher für denselben. Das Piktogrammartige, ja Cartoonhafte zieht sich wie ein roter Faden durch die Bilder Danny Linwerks: eine Art Verdichtung, mitunter ins Humorvolle übersetzte Verdinglichung von Gegenständen wie menschlichen Körperteilen: Gegenstände, Pflanzen, Köpfe, Verrichtungen und Gesten werden hier in eine mitunter befremdlich anmutende Traumlandschaft, bestehend aus Spielern und Spielzeugen versetzt. Belebtes wie Unbelebtes bildet Farb-Form-Areale die giftig schön, mitunter bissig, aber immer beschaulich anmuten: Alles in allem vielleicht nur künstliche, gar außerirdische Besucher einer ihnen selbst vollkommen unbekannten Wirklichkeit?
Die Spaghetti-Esser (z.B. Le Surréaliste, 2019): mit einzelnen Nudeln – einem mehr oder minder verbogenem Strich – auf ihre je besondere Weise geschickt und in sich selbst versunken, traurig, genießend, jonglierend ... Oder deren völlig chaotisch-nervöses, ja Angst getriebenes Gegenteil in Gestalt eines händischen Hinein-Stopfens sich haarsträubend spreizender Bündel (ohne Titel, nach Goya, 2019). Charakterstudien mit Pasta in zueinander klar komponierten Farbflächen. Ob eher in sich versunken oder als stummer Schrei – immer scheint die Bildwelt von Danny Linwerk Dinge, Ereignisse, Menschen, ja letztlich den Betrachtenden mit einer stillen Andächtigkeit zu umhüllen, einem ‚Alles ist Gut!‘ auch in fragwürdigsten Umgebungen und Situationen.
Eigentlich zeigen seine Bilder alles, vielleicht zeigen sie sogar eine gänzlich toxisch, für Mensch und Natur zu enge, verbaute ‚Realität‘ – zum Beispiel giftgrün exotisch anmutende ‚Süd-Sehnsucht-Pflanzen‘ eng gepfercht unter ein Gewächshaus-Gestänge (Fandango, 2017). Aber genau dies bleibt vollständig in einer Balance zwischen Andeutung, Verfremdung, Erzählung, Stilisierung, Witz und letztendlich einer kreatürlichen Gestalt-Phantasie, die den Faden zur eigenen Kindheit, ja zur unendlichen Möglichkeit eines sich selbst in die Welt Spielens traumwandlerisch sicher in Händen hält, ja durch die Hände hindurch Bild werden lässt.
Das Werk, dass sich durch Danny Linwerk hindurch entfaltet erinnert an eine Wiederauferstehung des Malen-Könnens spätestens seit der Romanik durch die Renaissance, den romantischen Realismus, den Kubismus, den Surrealismus bis weit über die spätmoderne OP-Art, Pop-Art und Design-Art hinaus. Es ist letztlich eine Auferstehung wie durch die eigene Kindheit hindurch! Alles kommt hier völlig unaufdringlich und in keiner Weise manieristisch zitierend vor. Linwerks Schaffen zeigt: Es gibt keine Welt mit kausal-linearem Verfallsdatum, es gibt keinen sich immer wieder selbst negierenden Fortschritt – zumindest nicht in der Qualität des Menschlichen im Menschen. Der Rest ist Oberfläche, Sensation, Ablenkung, Techno-Logistik zwischen selbst fabrizierter Apokalypse und Erlösungsverheißung: Behaupten, Verharren, Flüchten ...
Christliche Dreifaltigkeit – letztlich in der Triade von Vater, Mutter, Kind – erscheinen im Reigen dreier förmlich im Nicht-Raum schwebender Akte mit Zigarette im Mund (Balada, 2018). Ein Auftragswerk des neuen Papstes, der demnächst die Erlösung im Trans-Gender-Kosmos oder gar im Trans-Humanismus von höchster Stelle verkünden wird? Ganz sicher nicht! Diese Renaissance aufrufende, ja religiöse Anmutung der erotisierten ‚Scheinlesben‘ wird durch die Zigarette im Mund auf subtil-provokante Art gebrochen und aus der Tiefe eines Menschlichen heraus in eine lebendige Spannung geführt. Ganz große Malerei genau zwischen Profanem und Heiligen – denn hier wird das Heilige profan und das Profane heilig! Und zwar jenseits aller Schul-, Schuld- und Sühne-Raster.
Und hier scheinen sie alle durch, die unbekannten wie die bekannten Meister: Michelangelo, Goya, Picasso, Matisse bis hin zu den bekannten Kommilitonen, die nur wenige Jahre vor Danny Linwerk an der Kunstakademie in Dresden studiert haben (z.B. Thomas Scheibitz oder Thoralf Knobloch). Auch sein Lehrer Christian Macketanz mag auf dezente Weise durchscheinen. Danny Linwerk allerdings ist in seiner einfachen Vielschichtigkeit, seiner poetischen, musikalischen und gestischen Farb-Form-Arbeit ein Meister der von Friedrich Nietzsche geforderten Mehrung des „beschauliche(n) Element(s)“. Und dies mit aller Konsequenz, Stringenz und jenseits von Kitsch und seichter Erbauung. Eine Ausnahme-Erscheinung die Irritation, ja ‚Verfremdung‘ – ganz im Brechtschen Sinne – mit einem Gestus tiefer Gelassenheit und Gewissheit verbindet.
Das eingangs erwähnte, ganz unspektakulär sprechende Bild vom rauchenden Schlot erschien Danny Linwerk im Geiste bei Anschauung eines Kraftwerkschornsteins mitten in Dresden. Eben nicht an den Orten, die man hier mit berühmt berüchtigter ‚großer Malerei‘ in Verbindung bringt. Vor 100 Jahren waren die Anzahl der Schornsteine das Signum für industriellen Fortschritt, ja für bedeutsame Urbanisierung. Die Romantiker wie die Expressionisten haben sich dem massiv entgegen gestellt, indem sie das Erhabene der Natur und die Erotik des menschlichen Körpers – meist in Gestalt des Weiblichen – ins Zentrum ihrer Motive rückten. Danny Linwerk geht einen anderen, eben eigensinnigen Weg, der sich eher der Kindheit erinnert und ihrem Potenzial vergewissert als einer Idealisierung und Artifizierung von ‚Realitäten‘.
Das hebt ihn auch im Kontext der großen Dresdner Traditionen heraus und hinüber in eine andere Kunst des Verweilens: Beschaulichkeit, vielleicht auch „interesseloses Wohlgefallen“ (Immanuel Kant) ist, wo Situation, Relation, Proportion, Farbigkeit und Rhythmik eine Geschichte ertönen und sich fügen lassen. Ein Erzählen, das in den Duft der Zeit*, in eigene Anwesenheit führt, stimmt und einstimmt: Eigensinn und Eigenzeit durch alle messbare Zeit hindurch. Eine Geschichte, die weder Anfang noch Ende kennt und sich immer wieder anders erzählt.
* Byung-Chul Han: Duft der Zeit. Ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilens.
Trascript Verlag, Bielefeld 2014